Sachverhalt:
Auf einer zweispurigen Straße befuhr der Kläger mit seinem Wagen die linke und der Beklagte als Halter seines Kfz die rechte Fahrspur. Die linke Fahrspur endet irgendwann und geht in eine Linksabbiegerspur über; nur die rechte Spur wird weitergeführt. Der Übergang der linken auf die rechte Fahrspur wird durch Pfeile auf der Fahrbahn und Fahrbahnmarkierungen (gestrichelte Linienführung) angezeigt.
Der Kläger wechselte mit seinem Wagen von der linken auf die rechte Spur. Dabei kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge. Hierdurch entstand am Wagen des Klägers ein Schaden von 1.000 €.
Antrag des Klägers:
Zahlung von 500 € (hälftiger Schadensbetrag)
Entscheidung des Gerichts:
Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 200 € Schadensersatz (20%-ige Haftung).
Geprüfte Anspruchsgrundlagen:
§§ 7, 17 StVG
Rechtliche Prüfung des Gerichts:
Der Kläger kann gemäß § 7, 17 StVG lediglich 20 Prozent seines Schadens verlangen.
I. Anspruchsvoraussetzungen
1. Rechtsgutsverletzung
Das Eigentum des Klägers (=Auto) wurde durch die Beschädigung verletzt.
2. Bei Betrieb des Kfz
Das Kfz des Beklagten befand sich in Betrieb, da es bestimmungsgemäß verwandt worden ist.
3. Anspruchsgegner = Halter
Der Beklagte war Halter seines Wagens.
4. Keine höhere Gewalt
Der Unfall wurde nicht durch höhere Gewalt verursacht.
II. Rechtsfolge:
Ersatz des durch die Rechtsgutverletzung verursachten Schadens.
Kürzung wegen Mitverursachung
Der Anspruch ist jedoch gemäß § 17 Abs. 2 StVG wegen Mitverursachung des Unfalls durch den Beklagten zu kürzen.
1. Unabwendbares Ereignis für den Beklagten?
Eine solche Schadensaufteilung entfiele nur, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis für den Beklagten verursacht worden ist.
Letzteres ist hier nicht der Fall.
Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges handeln über den gewöhnlichen unpersönlichen Maßstab hinaus. Entscheidend ist, ob ein so genannter Idealfahrer das Unfallgeschehen hätte vermeiden können. Zur äußersten Sorgfalt gehört die Berücksichtigung aller möglichen Gefahren Momente. Dabei bedeutet Unabwendbarkeit zwar nicht die absolute Unvermeidbarkeit, sondern eine besonders sorgfältige Fahrweise und Reaktion. Der Fahrer muss aber auch erhebliche fremde Fehler berücksichtigen und typische Verhaltensweisen im Straßenverkehr einkalkulieren. Unabwendbar ist ein Ereignis daher nur dann, wenn auch der gedachte Idealfahrer bei Anwendung sämtlicher Sorgfaltsvorschriften das Verkehrsunfallgeschehen nicht hätte vermeiden können.
Der Beklagte konnte durchaus erblicken, dass im Verkehrsfluss vor ihm einige Fahrzeugführer von der linken Fahrbahn auf die rechte Fahrbahn gewechselt sind. Aufgrund dieser verkehrsbedingten Umstände und der gut erkennbaren Spurmarkierung auf der linken Fahrbahn hätte der Beklagte daher damit rechnen müssen, dass auch der Kläger mit seinem Wagen von der linken auf die rechte Fahrspur wechseln wollte. Der insoweit gedachte Idealfahrer hätte auch einkalkuliert, dass der Kläger eventuell davon ausgeht, dass aufgrund des Reißverschlussverfahrens ein vermeintliches Recht zum Wechseln auch in eine enge Lücke bestehen würde. Selbst bei irriger Annahme eines solchen Rechtes, hätte der Idealfahrer mit einem entsprechenden Fahrverhalten gerechnet und hätte dem Kläger das Wechseln der Fahrspur ermöglicht. Der Beklagte konnte auch keinen Entlastungsbeweis führen. Bei der Beurteilung der Unanwendbarkeit obliegt die Beweislast für die entsprechenden Umstände, die eine Unabwendbarkeit begründen, jedem Verkehrsteilnehmer selbst.
2. Mitverurschachung des Klägers
Der Beklagte haftet lediglich für die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs, welche mit 20 Prozent in Ansatz zu bringen ist.
Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Unfallbeteiligten ist zu berücksichtigen, dass gegen den Kläger der Beweis des ersten Anscheins einer schuldhaften Verletzung der Pflichten des Verkehrsteilnehmers beim Fahrspurwechsel streitet. Daher ist davon auszugehen, dass der Kläger das Unfallgeschehen maßgeblich verursacht und verschuldet hat.
Einen anderweitigen Lebenssachverhalt, der den Anscheinsbeweis erschüttert, konnte nicht dargelegt und bewiesen werden.
So konnte er nicht beweisen,
• dass er den Blinker erkennbar rechtzeitig vor dem Fahrspurwechsel gesetzt hat,
• dass der Beklagte sein Fahrzeug beschleunigt hat, um den Fahrspurwechsel zu vereiteln.
Außerdem war der Kläger gemäß § 7 Abs. 5 StVO verpflichtet, beim Wechseln des Fahrstreifens jegliche Gefährdung auszuschließen. Der Kläger hat angegeben, dass die Größe der bestehenden Lücke am Fahrzeug des Beklagten lediglich sechs Meter betragen habe. Da ein solcher Abstand ist nicht ausreichend ist, ist er der genannten Verpflichtung nicht nachgekommen.
Auch das in § 7 Abs. 4 StVO normierte Reißverschlussverfahren führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Auch bei Anwendung dieses Reißverschlussverfahrens unterliegt der Verkehrsteilnehmer, der den Fahrstreifenwechsel vollzieht, der Verpflichtung des § 7 Abs. 5 StVO (Ausschluss einer Gefährdung beim Fahrstreifenwechsel). Der Kläger hätte entweder eine ausreichend große Lücke abwarten oder aber sich durch Blickkontakt mit dem Beklagten verständigen müssen (§ 11 Abs. 3 StVO), so dass erst bei erkennbarer Verzichtshaltung des Beklagten auf sein bestehendes Vorrechts ein Fahrstreifenwechsel hätte vollzogen werden dürfen.
3. Mitverursachung des Beklagten
Dem Beklagten ist allenfalls vorzuwerfen, dass der so genannte Idealfahrer das Fehlverhalten des Klägers möglicherweise erkannt und das Unfallgeschehen deshalb hätte vermeiden können.
Diese 20%-ige Haftung tritt auch nicht aus Billigkeitsgründen hinter dem groben Verstoßes Klägers zurück. Das Herüberwechseln von Fahrzeugen vom endenden Fahrstreifen auf den bevorrechtigten Fahrstreifen ist ein häufig zu beobachtender Fahrvorgang. Dieser hätte von dem bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer mit einkalkuliert werden müssen. Insoweit kann der Beklagte auch nicht beweisen, dass der Fahrstreifenwechsel des Klägers ohne Anzeige des Blinkers durchgeführt wurde. Daher können keine Umstände angenommen werden, die es als unbillig erscheinen lassen würden, den Beklagten mithaften zu lassen.