Landesarbeitsgericht Hamm - Urteil vom 9. November 2006 – 15 Sa 789/06
Sachverhalt:
Der Kläger ist Arbeitnehmer und war seit den siebziger Jahren bei der Firma X eingestellt. Diese Firma hatte keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Schon seit Beginn dieser Dienstzeit hat der Kläger ausschließlich bei der Firma B, der Beklagten, gearbeitet. Er erhielt einen Dienstwagen der Firma X, so dass er mit diesem direkt zur Beklagten fahren konnte. Eingesetzt war er im Freileitungs- und Kabelbau. Die Arbeitseinteilung erfolgt über den Betriebsleiter der Beklagten. Die Arbeitsmaterialien wurde von der Firma X gestellt. Urlaub wurde in der Weise gewährt, dass der Kläger zunächst bei der Beklagten nachfragte, ob er zur bestimmten Zeiten abkömmlich sei. Ob er tatsächlich in den Urlaub gehen konnte, musste er mit der Firma X abklären. Wenn er krank war, hat er sich bei der Beklagten abgemeldet; die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe er zu Firma X geschickt. Geleistete Arbeitsstunden wurden von ihm aufgeschrieben und vom Betriebsleiter der Beklagten abgezeichnet. Diese Stundenbuch habe er an die Firma X geschickt und dann seinen Lohn ausgezahlt erhalten. An der Betriebsstätte der Firma X sei er maximal zwei bis dreimal im Jahr gewesen. Schon zu Beginn seiner Tätigkeit habe er einen Kabelkurs bei der Beklagten besucht, so dass er besondere Kabelanlagen bedienen durfte. Die Firma X habe im Regelfall nicht gewusst, wo er jeweils gearbeitet habe. Zudem habe er regelmäßig an Jubiläums- und Weihnachtsfeiern bei der Beklagten teilgenommen. Seit Ende 2004 sei die X nun als Subunternehmer für eine andere Firma tätig. Seine Monatsbruttovergütung betrage 3000 €.
Antrag des Klägers:
Festzustellen, dass zwischen ihm und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis besteht.
Entscheidung des Gerichts:
Es besteht kein Arbeitsverhältnis.
Geprüfte Anspruchsgrundlage: §§ 611 BGB, 10 Abs. 1 S.1 AÜG
Nach § 10 Abs. 1 AÜG sind Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam, wenn der Verleiher nicht die für eine gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG erforderliche behördliche Erlaubnis besitzt. Fehlt diese Erlaubnis, ist ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer zu Stande gekommen.
Voraussetzung ist mithin, dass zwischen Verleiher und Entleiher ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vorliegt. Ein solcher Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ist aber nicht gegeben, wenn zwischen X und der Beklagten ein Werkvertrag geschlossen wurde.
Rechtliche Lösung des Gerichts:
Im vorliegenden Fall liegt kein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, sondern ein Werkvertrag vor, bei dem der Arbeitnehmer lediglich als Erfüllungsgehilfe seines Arbeitgebers in Betrieb des Beklagten tätig wurde.
Entscheidend für die Einordnung des Vertrages ist der Geschäftsinhalt und nicht die vom den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder Bezeichnung. Dieser Geschäftsinhalt ergibt sich entweder aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien oder aus der praktischen Durchführung des Vertrages. Bei Widerspruch von beiden ist die tatsächliche Durchführung des Vertrags maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung am ehesten Schlüsse darauf ziehen lassen, wovon die Parteien ausgegangen sind und was sie wirklich gewollt haben.
Bei der Arbeitnehmerüberlassung werden dem Entleiher die Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Der Entleiher setzt sie nach seinen Vorstellungen und Zielen in seinem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer ein. Die Arbeitskräfte sind voll in dem Betrieb des Entleihers eingegliedert und führen die Arbeiten allein nach dessen Weisungen aus.
Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher besteht darin, einen Arbeitnehmer auszuwählen und und dem Entleiher zur Verfügung zu stellen. Er haftet nur für Verschulden bei der Auswahl der verliehenen Arbeitnehmer.
Etwas anderes ist es, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines zwischen den Unternehmen geschlossenen Werk-oder Dienstvertrages im Betrieb des „Entleihers“ arbeitet.
Bei einem Werkvertrag organisiert der Werkunternehmer die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen. Er bleibt für die Erfüllung der im Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die hierbei eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Werkunternehmers; seine Arbeitnehmer sind seine Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller hat allerdings die Möglichkeit, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werks zu erteilen, § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Auf den Fall bezogen:
Die Tatsache, dass der Kläger jahrelang für die Beklagte tätig war, bedeutet nicht, dass er aufgrund eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags tätig war. Maßgebend ist vielmehr, welchen rechtlichen Charakter der drittbezogene Personaleinsatz hatte.
Dass der Kläger „sämtliche Anweisungen“ durch die Beklagte erhalten hat, besagt ebenfalls nichts, da der Werkunternehmer gemäß § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB Anweisungen für die Ausführung des Werkes erteilen darf. Dass die Beklagte über die Vorschrift des § 645 BGB hinaus Weisungen arbeitsrechtlicher Art erteilt hat, ist hat der Kläger nicht vorgetragen.
Die Modalitäten der Urlaubsgewährung sprechen dafür, dass die arbeitsrechtliche Befugnis zur Gewährung von Urlaub bei der Firma X lag. Gleiches gilt für die Krankmeldungen.
Das Abzeichnen der Arbeitsstunden durch die Beklagten diente lediglich dazu, dem Vertragsarbeitgeber die Möglichkeit zu eröffnen, die geleisteten Stunden nachzuhalten.
Von weiterer erheblicher Bedeutung ist, dass die Firma X einem bestimmten Betriebszweck (Tief- und Kabelbau, Straßenbeleuchtung, Elektroinstallation) verfolgt. Entsprechende vertragliche Beziehungen bestanden zwischen der Firma X und der Beklagten; die Firma X war mit Arbeiten in diesem Bereich betraut worden. Der Kläger ist demnach zur Erfüllung der Betriebszwecke der Firma X im Bereich der Beklagten eingesetzt worden. Dem Einsatz lagen klassische Werkverträge (mit Gefahrtragung des Werkunternehmers bis zur Abnahme) zu Grunde. Bei den Einsätzen wurden ausschließlich Werkzeuge der Firma X benutzt. Dies spricht dafür, dass der Kläger als Erfüllungsgehilfe im Rahmen von Werkverträgen tätig geworden ist.
Unerheblich ist auch, dass der Kläger an Kabelkursen sowie an Weihnachts- und Betriebsfeiern der Beklagten teilgenommen hat.
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